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www.rossbergs.de - Kriegsbriefe 1866/ 1870

Schulaufsatz des Arndt Roßberg 1932 - Gymnasium Nossen

Ein Beitrag zu meiner Familiengeschichte

Kriegsbriefe meines Großvaters aus den Feldzügen 1866 und 1870/71

Was Du bist, bist Du durch Deine Ahnen.” Sollte sich deshalb nicht jeder mit der Geschichte seiner Familien, die ja seine ureigenste Geschichte ist, beschäftigen? Es darf jedoch keine “Modeerscheinung” sein, daß jetzt überall Familiengeschichte getrieben wird. Jedes neue Geschlecht soll sich immer wieder an die Geschicke seiner Väter erinnern. Geschichte treiben heißt jedoch nicht nur Zahlen sammeln, denn sie soll ja das wahre Leben aufzeichnen. Besonders bei der Familiengeschichte aber können wir uns nicht mit bloßen Lebensdaten begnügen. So soll auch dieser Beitrag zur Geschichte meiner Familie ein Stück tiefen Erlebens aus großer Zeit sein.

In einer kleinen alten Truhe fand ich unter einem dicken Bündel alter Rechnungen einen Stoß vergilbter Briefe. Mein Großvater hatte sie aus den Feldzügen 1866 und 1870/71 an seine Eltern geschickt, und Eltern und Freunde hatten ihm geantwortet. Ein reicher, lebendiger Schatz!

Als der Krieg 1866 ausbrach, war mein Großvater 23 Jahre alt. Er mußt sofort mit ins Feld, seine Feinde waren - die Preußen. Das Volk hatte schon längst gefühlt, daß nicht Preussen, sondern die österreichische Regierung der wahre Feind war. Eine Stelle aus einem Briefe meiner Urgroßeltern zeigt wohl die wahre Meinung des sächsischen Volkes. Wenn auch das Gerücht selbst nicht auf Wahrheit beruht, so zeigt es doch die mißtrauische Stimmung im Volke. Wir lesen in dem Brief: “...als der Vater nach Hause kam, machte er es sehr gefährlich und sagte, die sächsischen Truppen wären an die Franzosen verkauft, und nun sollte es erst noch mal richtig losgehen.” Doch begleiten wir meinen Großvater auf dem Feldzuge. Ein kurzer tagebuchartiger Abriß gibt uns Auskunft über seine Erlebnisse. Die Aufzeichnungen beginnen am 20.Juli 1866: “den 20. Rasttag, den 21. 5 Uhr früh auf der Eisenbahn über Prag nach Semig. Am 22. 9 Uhr früh Abmarsch nach Braw. Den 23. nach Schlikowitz, den 24. nach Rutschek, den 25. früh nach Bunzlau, den 26. retour nach Jungbunzlau, Feldwache.
Den 28. Biwak bei Döbau. Den 29. früh 1 Uhr Anmarsch, abends 9 Uhr Biwak bei Corbis. Abens 1/2 10 Uhr zur Unterstützung der Division Riglitz, welche bei Gitschin Gefecht hatte, 12 Uhr einrücken.
Am 30. früh 6 Uhr Abmarsch bis Schmettau. Abends 9 bis früh 3 Uhr auf Vorposten. Abends kleines Geplänkel. Am 1. früh 1/2 4 Uhr Abmarsch, abends 5 Uhr in das Biwak bei Königgrätz.
Den 2. Rasttag 2 1/2 Stunde von Königgrätz. Den 3. Früh 1/2 6 Uhr auf Vorposten seitwärts von Königgrätz. Überfall der Preussen auf das sächsische Lager von früh 1/2 7 bis abends 7 Uhr.”

Diese kurze Nachricht gibt uns Kunde von der größten Schlacht des ganzen Feldzuges. Entweder war die Schlacht am Standorte nicht so schlimm oder der Großvater schon ein kaltblütiger Krieger, oder der Groll über die Niederlage ließ ihn nichts weiter schreiben. Doch dann folgt die vielsagende Nachricht: “Vom 3. bis 6. Rückzug in die Fremde.” Am 14. Auguts treffen die Truppen in Wien ein und beziehen am linken Donauufer Quartier. Es heißt dann weiter: “den 20. 4 Uhr Marsch durch Wien und Schönbrunn nach Mauer, Parade vor dem König.” Am 30. beginnt für meinen Großvater eine unkriegerische aber für ihn gewiß schöne Zeit.
Er kommt zu einem Bauern ins Quartier udn schließt mit ihm herzliche Freundschaft. Da er selbst Bauer ist, hilft er dem Österreicher die Ernte bergen und erhält zum Abschied eine schöne silberne Uhr, die er fast vierzig Jahre getragen hat, bis sie einmal die Dreschmaschine gründlich zerschlug. Während des Feldzuges selbst scheint allerdings die Löhnung nicht allzu gut gewesen zu sein. Wir lesen einmal: “Wir bekommen jetzt bloß 10 Kreuzer Löhnung, so viel wie 5 ngr. (Neugroschen) den Tag und alles ist noch mal so teuer wie in Sachsen.” So ist es nicht verwunderlich, daß die Geschwister sehnsuchtsvoll schreiben: “Ach lieber Bruder, wir hoffen, daß wir nun bald mündlich mit Dir reden können. Wie groß wird die Freude sein! Wir sind alle gesund und wohlauf, aber wenn du mit in unserer Mitte wärest, würden wir noch viel munterer sein.” Wieviel geschwisterliche Liebe spricht aus diesen ungelenken Worten! Im nächsten Brief heißt es beruhigend: “Im letzten Brief hatte wir dir geschrieben, daß wieder Schanzen bei Dresden gebaut werden sollten. Es wird aber nichts daraus. Die Arbeiter, die schon da waren, sind alle nach Hause geschickt worden. Jetzt heißt es, daß in 5 Wochen die sächsischen Truppen alle wieder da sein sollten. Nächste Woche sollen schon 1000 Mann kommen. Es soll gewiß wahr sein, es stand auch in der Dresdener Zeitung.” Bald kehrte der Großvater so auch aus dem für ihn nicht allzu anstrengenden Feldzug gegen deutsche Brüder wieder heim.

Als sich 1870 das ganze Deutschland erhob, um seine Freiheit zu verteidigen, war mein Großvater wieder unter den ersten, die ins Feld zogen. Mit dem bekannten 107. Regiment zog er ins Feindesland hinein. Der Vormarsch ging so rasch vonstatten, daß mein Großvater fünf Wochen lang nicht Zeit fand, nach Hause zu schreiben. Seine Eltern schrieben besorgt: “Du versprachst uns doch als du fortgingst, recht bald zu schreiben, und nun sind es bald 5 Wochen und wir haben noch immer keine Nachricht von dir. Lieber Sohn, wenn es dir möglich ist, so schreibe uns doch recht bald einmal wie es dir geht und wo du bist.” Vier Tage später, am 4. September kommt eine ausführliche Antwort, in der er mitteilt, daß er am 19. August schon einmal geschrieben hätte. Dieser Brief ist wahrscheinlich im Angriffsturm verlorengegangen. Doch dann folgt in der nüchternen Schreibweise meines Großvaters ein Bericht über die Schlacht von Sedan: “Ihr werdet wohl auch gehört haben, daß der Krieg nun bald zu Ende ist. Bei uns wird gesagt, daß wir in spätestens 3 Wochen zu Hause sind. In der Schlacht bin ich den ganzen 1. September gewesen aber ich bin Gott sei Dank ganz glücklich davon gekommen. Bei meiner Kompanie sind bloß noch 80 Mann da. Jetzt ist 6 Tage lang andauernd geschossen worden, wir haben am letzten Tage den Sieg aber doch noch gemacht.” Ganz schlicht und ohne Heldentum klingen seine Worte: “den Sieg aber doch noch gemacht”. Dann folgt die traurige Nachricht, daß ein Drofgenosse schwer verwundet sei. Aber er schlißt zuversichtlich: “Es wird nicht lange dauern und ich kann Euch alles erzählen.” Er sollte sich jedoch bitter getäuscht haben. Im nächsten Brief heiß es noch hoffnungsvoll: “Wir warten jetzt jeden Tag auf die Botschaft, daß es heiß: “es geht wieder in die Heimat”. er fährt fort: “Hier in Frankreich ist es viel schlechter wie 1866 in Österreich. Der Krieg ist zwar für uns besser, aber wir haben sehr schlechte Quartiere und verstehen tun wir die Leute in Frankreich überhaupt nicht und müssen uns deshalb alles selber aus den Häusern holen. Auf den Schlachtfeldern sieht es zu traurig aus, ein Toter an dem anderen. Die Samariter können die vielen Verwundeten gar nicht gleich alle zusammen holen. Doch liebe Mutter ängstigt Euch nicht um mich, nun geht es nicht wieder los. Vielleicht kann ich Euch den nächsten Brief gleich selber bringen!” Er hätte diese Schilderung der Leiden des Feldzuges gewiß nich nach Hause geschrieben, wenn er gewußt hätte, daß für ihn der Krieg jetzt erst recht begann.

Im Antwortschreiben der Eltern lesen wir die schlichten, innigen Worte: “Ach, wann wird die Stunde kommen, wenn Du wieder in unsere Mitte eintrittst.

Wir bitten den lieben Gott täglich und stündlich, daß er Frieden senden möge und Dich geliebter Moritz recht bald in die Heimat zurückkehren ließe.” Der nächste Brief aus dem Felde ist auf der Rückseite einer Einladung des Jagdklubs von Chelles geschrieben. “Schon steht das deutsche Heer zwei Stunden vor Paris: Wir müssen jetzt alle 3 Tage auf Vorposten ziehen. Von dort haben wir nur noch 3/4 Stunde bis zu den Pariser Schanzen und Kasernen. Die Vorposten der Franzosen sehen wir ganz genau stehen. Aus den Schanzen heraus wird alle Tage geschossen, sie haben aber noch keinen von uns getroffen. Sonst liegen wir in einer Stadt 2 Stunden von Paris. Wir haben da ganz schönes Quartier und liegen 3 Mann in einer Stube und können Holz feuern wie wir wollen, denn die Bewohner sind fort. Zu Essen haben wir auch genug, gestern haben sie wieder eine Höhle gefunden, wo 300 Faß Wein steckten, der wird an alle verteilt. Während ich dies paar Zeilchen schreibe, haben die Franzosen schon einige dreißig mal geschossen. Wir sind es aber schon gewöhnt und sie können uns gar nicht mehr stören. Seid herzlich gegrüßt...” Am Schluß des nächsten Briefes aus Chelles lesen wir: “Wir sind 54 Stunden auf Wache und Vorposten gewesen und ich habe höchstens 6 Stunden geschlummert, jetzt schläferts mich aber sehr. Wenn ich nach Hause komme, habe ich Euch sehr viel zu erzählen. Viel mehr wie von Österreich 66.” In einem Brief  vom 9. November lesen wir: “Die 7 Wochen liegen wir nun schon in Chelles. Die Franzosen haben immer tüchtig geschossen aber seit 8 Tagen sind sie ganz ruhig. Es heißt schon, daß Friedensverhandlungen wären. Auf Vorposten muß ich immer noch ziehen. Ich habe schon 4 Hemden und 4 Paar Unterhosen an. Wenn ihr mir noch 2 Hemden schicken wollt, hätte ich dann 6 an.” Doch die Friedenshoffnungen sollten wieder einmal zunichte werden, und das Schwerste sollte erst kommen. Am 13. November schreiben die Eltern: “Wir erhielten heute eine traurige Nachricht. Wir hörten, daß die Deutsch 5 Stunden zurückgetrieben worden wären, es seien auch viele gefangen worden. Wir ängstigen uns immer, ob Du nich auch Unglück gehabt hast.”

Wunderbar, die Ahnung der Eltern hat sich bewahrheitet. Sie schreiben kurz nacheinander drei Briefe ins Feld, doch keine Antwort kommt zurück. Ihre Anfragen wurden immer dringender. Was ist geschehen? Endlich, am 3. Januar 71 schreibt der Feldwebel, daß mein Großvater gefangengenommen worden ist und sich im belagerten Paris befindet. Als Gefangener im bald ausgehungerten Paris - das war wohl die schwerste Zeit des ganzen Krieges. Er lag zwar in einem schönen Palais, doch davon wird man nicht satt. Wie froh werden die Eltern wohl gewesen sein, als ihr Sohn am 4. Februar schrieb: Mit Freude ergreife ich die Feder, um Euch mitzuteilen, daß ich aus der Gefangenschaft in Paris erlöst bin.” Der Empfang zweier großer Kuchenpakete aus der Heimat wird bald darauf dankend bestätigt.
Auch 5 Taler waren sehr vonnöten, denn: “In Paris ging es sehr über das Geld, ich mußte immer bezahlen und bekam doch nichts dafür.” Am 8. März schreibt er: “Gestern hatten wir Parade vor dem neuen deutschen Kaiser auf dem Felde bei Clichy. Wir hören jetzt immer, daß der Friede nun wirklich abgeschlossen sei. Nun werde ich wohl bald mein liebes Sachsenland wiedersehen.”

Jetzt endlich bestätigt ein Kamerad, der noch bei der Besatzungsarmee stand, den Empfang eines Paketes, denn mein Großvater wußte, was einem Soldaten die größte Freude macht: ein Liebesgabenpaket aus der Heimat.

Nicht viel lesen wir in diesen Briefen von Siegen und Heldentaten. Es könnte scheinen, as wäre das gar nicht der richtige Krieg gewesen. Doch mein Großvater war Bauer, der seine Pflicht still und selbstverständlich bis zum letzten Atemzug erfüllte. Er war ein Bauer wie alle Vorfahren, die die Geschichte unserer Familie seit dem Jahre 1475 aufzählt.

 

Arndt Roßberg